Die Whistleblower- bzw. Hinweisgeber-Richtlinie (EU) 2019/1937

Ziel der Richtlinie ist es,  diejenigen Personen, die hinweisgebende Informationen von Verstössen gegen wichtige Vorchriften des EU-Rechts rechtmäβig mitteilen, vor Repressalien zu schützen. Hierzu verlangt die Richtlinie ab einer Unternehmensgröβe von 50 Mitarbeitern, dem Hinweisgeber interne und externe Kanäle zur Meldung bestimmter Rechtsverstöβe bereit zu stellen.

Aktueller Gesetzgebungsprozess in Deutschland. Die Hinweisgeber-Richtlinie ist 2019 erlassen worden und hätte bis zum  17.12.2021 durch die Mitgliedstaaten  in nationales Recht umgesetzt werden sollen, was lediglich Schweden und Dänemark gelang.

In Deutschland erfolgte bis heute keine Umsetzung. Im November 2020 bereitete das Justizministerium einen Referentenentwurf vor, der jedoch mangels politischer Einigung keinen Eintritt in den Gesetzgebungsprozess erlangte. Seit Sommer 2021 liegt schließlich ein Gesetzesentwurf  für das Hinweisgeberschutzgesetz vor. Der Bundesrat beschloss hierzu in seiner 1024. Sitzung am 16.9.2022 eine Stellungnahme. Aufgrund der Beschlussempfehlung und dem Bericht seines Rechtsausschusses hat der  Deutsche Bundestag am 16.12.2022 beschlossen, den Gesetzentwurf in seiner geänderten Fassung anzunehmen. Bei der Gesetzesabstimmung in der 1030. Sitzung des Bundesrates am 10.2.2023 erlangte der Bundestagsbeschluss zum Schutz vor sogenannten Whistleblowern letztlich jedoch  keine Zustimmung. Damit kann das Gesetz nicht wie geplant in Kraft treten. Bundestag und Bundesrat haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um einen Kompromiss mit den Ländern zu erzielen. Der weitere Fortgang der Umsetzung in nationales Recht bleibt also abzuwarten.

Der Maßgeblicher Kritikpunkt am Gesetzesentwurfs ist, dass  nach diesem  deutlich mehr geregelt wird, als von der Richtlinie verlangt. Im sachlichen Anwendungsbereich erfolgt eine enorme Ausweitung der europarechtlichen Vorgaben und er  verlangt den Unternehmen einen unnötig hohen bürokratischen Aufwand ab.

Anwendung der Richtlinie. Bis zur  endgültigen Umsetzung in nationales Recht kann grundsätzlich eine Richtlinie auch unmittelbar angewendet werden. Diese unmittelbare Wirkung gilt nur gegenüber dem Staat und nicht für Private. Im Einzelfall ist die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie anhand der jeweiligen Bestimmungen in der konkreten Richtlinie auszumachen. Sofern diese unbedingt und hinreichend genau ist, kann sie unmittelbar angewendet werden. Enthält sie jedoch eine Verpflichtung für Private, scheidet eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie aus. Somit kann sich bis zur Umsetzung der  Hinweisgeber-Richtlinie kein Arbeitnehmer  gegenüber seinem Arbeitgeber auf die Richtlinie berufen.

Ausgangslage der Richtlinie. Gem. Art. 2 WBRL regelt die Hinweisgeber-Richtlinie Themenfelder im Bereich Finanzdienstleistung, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Strahlenschutz, Lebensmittelsicherheit, öffentliche Gesundheit, Verbraucher- und Datenschutz sowie öffentliches Vergabewesen, für die der sachliche Schutzbereich eröffnet ist.  Art. 4 der Richtlinie regelt den persönlichen Schutzbereich für Arbeitnehmer und Beamte aus gegenwärtigen, zukünftigen und vergangenen Anstellungsverhältnissen sowie Praktikanten und  Anteilseigner oder Personen, die Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen angehören. Zudem sind Verwandte und sonstige Dritte, die mit dem Hinweisgeber in Kontakt stehen und der Gefahr beruflicher Repressalien aufgrund eines Hinweises ausgesetzt sein können, geschützt. Im Anhang der Richtlinie erfolgt eine ausdrückliche neunseitige Aufzählung, welche Meldungen von Verstöβen gegen Rechtsakte unter diese Richtlinie fallen. 

Nach Art. 8 Abs. 1, 3 WBRL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass juristische Personen des privaten Sektors mit mehr als 50 Arbeitnehmern Verfahren einzurichten haben, zur Meldung von Informationen über Verstöβe oder Missachtungen bestimmter  Verletzungen des Unionsrechts. Gem. Art. 8 Abs. 2 i. V. m. Art. 4 Abs. 1 lit. b, c, d, Abs. 2 WBRL kann dieser Schutz erweitert werden auf andere Personenkreise, wie Anteilseigner, Organmitglieder oder Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Geschäftspartnern arbeiten.

Für Gemeinden und juristische Personen des öffentlichen Rechts besteht gem. Art. 8 Abs. 9 WBRL dieselbe Pflicht zur Einrichtung von Meldungen, allerdings unabhängig von der Zahl an Beschäftigten. Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern oder weniger als 50 Beschäftigten können aber davon ausgenommen werden.

Gem. Art. 8 Abs. 5 WBRL haben die Unternehmen die Wahl, die Meldewege durch unternehmensinterne Abteilungen oder durch externe Stellen einzurichten. Unternehmen mit bis zu maximal 249 Beschäftigten können gem. Art. 8 Absatz 6  WBRL alternativ  auch eine Ressourcenteilung unter Wahrung der Vertraulichkeit  einrichten.

Praktische Umsetzung der Vorgaben. Ob und wie den Vorgaben aus Art. 8 der Richtlinie in der praktischen Umsetzung  nachgekommen werden kann, wird von der Richtlinie nicht weiter ausgestaltet, so dass diese Frage in der Unternehmenspraxis kursiert. Insbesondere aus dem finanziellen und logistischen Interesse heraus stellt sich die Frage, ob mehrere Unternehmensteile, die zur Einrichtung eines Hinweisgebersystems verpflichtet sind, ein gemeinsames zentrales System des Mutterkonzerns aufbauen können. Finanziell könnte dadurch eine Entlastung geschaffen werden, da nur ein Hinweisgebersystem betrieben werden muss. Zudem kann die  Muttergesellschaft durch ein zentrales System leichter Anhaltspunkte für wiederkehrende Verstöße in den Konzernteilen ausfindig machen. Fraglich ist insbesondere, ob durch die Möglichkeit der Ressourcenteilung für Unternehmen bis zu 249 Mitarbeitern durch  Art. 8 Abs. 6 WBRL eine Privilegierung von juristischen Personen des privaten Sektors mit einer Arbeitnehmerzahl von 50 bis 249 erfolgt.

Die Meinungen in der Literatur  hinsichtlich der Einrichtung eines zentralen einheitlichen  Hinweisgebersystems durch den Mutterkonzern gehen auseinander. Eine Ansicht zieht aus dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 6 Satz 1 den Umkehrschluss, dass Konzerne ab 250 Arbeitnehmern in einem Unternehmensteil ein eigenes Meldesystem bereitstellen müssen oder eine Auslagerung an Externe zu erfolgen hat. Eine Ressourcenteilung durch ein konzernweites Systemkann demnach nur bis zu einer Unternehmensgröße von insgesamt 249 Arbeitnehmern in allen Unternehmensteilen erfolgen (vergl. Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk). 

Eine andere Ansicht legt den Wortlaut dahin aus, dass sofern nur der Mutterkonzern oder eine einzelne Konzerngesellschaft die Mitarbeiterzahl von 250 erreicht hat, dennoch eine gemeinsame Meldestelle eingerichtet werden darf, sofern dies bei bei der Muttergesellschaft unter Einhaltung der Vertraulichkeits- und Unabhanigikeitsstandarts durch Bereitstellung einer unparteiischen Person erfolgt (Gedermann/ Spindler). 

Nach weiterer Meinung wird der Art. 8 Absatz 5 Satz 1 WBRL dahingehend gelesen, dass als externen Dritten auch andere Gesellschaften einer Unternehmensgruppe handeln dürfen. Zu beachten ist lediglich, dass die Meldesysteme organisatorisch getrennt sein müssen (Forst). 

Die weiteste Ansicht in der Literatur verlangt lediglich eine konzerninterne Übertragung an andere Rechtsträger bzw. an Dritte möglich, die lediglich die in Art. 9 Absatz 2 WBRL die niedergelegten Verfahrensstandards einhalten zu haben (Schmolke).

Auf Nachfrage mehrerer Unternehmen und Verbände hat  die Europäische Kommission ihren restriktiven Standpunkt deutlich gemacht. Zwar kann eine Konzerngesellschaft zu einer anderen Konzerngesellschaft Dritter im Sinne Art. 8 Abs. 5 WBRL sein, allerdings beschränkt sich die Bereitstellungsmöglichkeit für Hinweise auf die Entgegennahme und Bestätigung des Eingangs von Hinweisen. Die anschließende Prüfung und Maßnahmenergreifung hat dann durch die einzelnen Konzerngesellschaften zu erfolgen, sofern diese 250 Mitarbeiter erreicht haben.

Praktische Umsetzung. Ungeachtet welcher Ansicht in der Literatur gefolgt wird, gehen die Meiungenen von einem  Zusammenspiel von Art. 8 Absatz 5 und Absatz 6 WBRL in aus. Grundsätzlich kann jede juristische Person ihrer Einrichtungspflicht nachkommen, indem sie das Hinweisgebersystem auslagert. Zudem sollte es zulässig sein, ein gemeinsames Hinweisgebersystem für die gesamte Gesellschaft einzurichten. Bis zu 249 Mitarbeiter kann unstrittig eine Ressourcenteilung stattfinden. Ist das Unternehmen hingegen größer, müssen die Meldekanäle der Konzerteile voneinander getrennt werden. Zwar kann der Mutterkonzern ein Hinweisgebersystem einrichten, es muss aber eine Trennung der einzelnen Gesellschaften  mit jeweils einem Meldekanal mit eigener Telefonnummer und Mailadresse erfolgen, die abgesichert ist gegenüber den anderen Meldekanäle.rAuch der bisherige Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlnie konkretisiert die Verpflichtung zur einheitlichn Einrichtung des Hinweisgebersystems nicht näher. Demnach bleibt abzuwarten, ob in der zukünftigen gesetzliche Ausgestaltung für die Einrichtung von Hinweisgebersystemen mehr Klarheit geschaffen wird.